Fußballmafia |
Der FCM-Fan hatte sich auf seinem
Sofa lang gelegt. Den Gürtel leicht gelockert schob er
Bundy-like die Hand in denselben, er machte es sich bequem. Frieden
hatte er geschlossen mit dieser Qual-Saison 2008/2009, in der sein Club
ganz früh aus dem Aufstiegskampf ausgeschieden war. Er war
noch froh, dass Jena und Werder II nicht abgestiegen und die
Störche aufgestiegen sind. Er konnte sogar über den
Gewinn des Sachsen-Anhaltinischen Landespokals etwas lächeln.
Dessen Wirkung empfand er als Trostpflaster - lediglich wie eine
Aspirin. Eigentlich hätte er eine starke Dosis Morphium
gebraucht. Im Hintergrund hörte er: „Emden:
Lizenz in Gefahr“. Er
spürte wie sein rechtes Augenlid zu zucken beginnt, sein
geschwächter Körper drehte sich ächzend auf
die Seite, sein Gehirn regte sich – ´Emden? Emden?
Da war doch was?´. Egal. Er war jedoch zu müde, um
den grellen Blitz, der durch sein Gehirn fuhr, zu beachten. Der FCM-Fan
schlummerte weiter. Am nächstes Tag schallte es aus dem
Lautsprecher des Internets: „Emden:
Neuanfang in der Oberliga“. Krawumm,
Knall, Peng – es schepperte im Kopf des FCM-Fans, blitzartig
schnellte er hoch, er vibrierte vor Anspannung, er riss die Augen auf
– er erwachte aus seinem Sommerschlaf. Hektisch wurde die
Fernbedienung für das Internet gesucht, er fand sie endlich,
drehte dessen Lautsprecher lauter und konnte seinen Ohren nicht
trauen... Schnell
kramte er seine Web-Aufzeichnungen aus dem vergangenem Jahr hervor. Aus
genau dem Jahr, als sein geliebter Club die Qualifikation zur
eingleisigen 3. DFB-Profiliga verpasste. Und er legte die
Tonbandkassette mit dem Interview
von DFB Direktor Helmut Sandrock ein. Dieser erklärte im Januar
2008: „...Weiterer wichtiger Eckpunkt ist zudem, dass die
Vereine der neuen Liga über ein Stadion mit einer
Kapazität für 10.000 Zuschauer, davon 2.000
Sitzplätze, verfügen...“. Ein Krimi bahnt
sich an. Der 1. FC Magdeburg war zum Zeitpunkt des
Interviews einige Punkte entfernt von dem rettenden 10. Platz. Immerhin
wurde damals ein neuer Trainer eingestellt, der FCM-Fan erinnert sich
gut an die anschließende Aufbruchstimmung. Ohne besondere
Motivation begann er im Februar 2008 durchs Internet zu zappen. Fast
gelangweilt schaltete er von einer Seite zur nächsten bis er
las: „Das
Fassungsvermögen des Embdena-Stadions beträgt 7.200
Plätze.“
Aha, und Emden lag zu dem Zeitpunkt vor Magdeburg in der Tabelle. Der
obrigkeitsvertrauende FCM-Fan speicherte diese Information vorsorglich
ab. 13.06.2008: Unser unbekannter FCM-Fan
saß daheim auf seinem Sofa, nervös verfolgte er den
letzten Spieltag. Der Club hatte es wieder einmal selbst vermasselt,
konnte aber noch etwas hoffen. Doch es reichte nicht zu Platz 10, aber
– der FCM-Fan grinste – zu Platz 11. Er hatte seine
Internet-Kassette bereitliegen. Er wusste, dass Emden die Bedingungen
zur 3. DFB Bundesliga nicht erfüllt. Er entspannte sich und
wartete vertrauensvoll auf die erlösende Meldung. Er wartete
und wartete und wartete. Aber das Internet blieb stumm, er wurde
langsam unsicher. Dieser
stinknormale, seit Ewigkeiten währende
FCM-Fan war übrigens lange Zeit selbst
Fußball-Obmann auf Kreisebene irgendwo im
westfälischen. In der Position hatte er schmerzhaft lernen
müssen, dass die DFB-Satzungen, -Regelwerke und
–Statuten von den DFB-Verantwortlichen auf Kreisebene
bestenfalls "beratend" zur Kenntnis genommen werden. Er musste leidvoll
lernen, dass die DFB-Repräsentanten in Gutsherrenart
Entscheidungen fällten, die je nach Laune einer der
niedergeschriebenen Regeln entsprachen oder auch nicht. Tage nach der schockierenden
Meldung entschloss er sich, alles Kommende komplett auf
Internet-Kassette zu speichern. Immerhin wurde konkret der Stadionumbau
als Bedingung für die Emdener 3. DFB Bundesligalizenz fest
geschrieben. Da der FCM-Fan einen Kumpel vor Ort hatte und dieser bis
dato noch keinen Baukran im Emdener Stadion gesehen hatte, schien diese
Datensicherung angebracht zu sein. Der FCM-Fan bereitete zwischendurch die
Silvesterparty 2009 vor. Ein paar Kumpels kündigten sich an,
das Bier stand kalt im Keller. Er hatte gute Laune. Sein Club war nach
ein paar Startschwierigkeiten zufriedenstellend prima in Fahrt
gekommen, ist mit nur einem Punkt hinter dem Aufstiegsplatz in die
Winterpause gegangen. Es war also noch alles drin. Er hatte seinen
Schmerz und seine Wut aus dem Sommer praktisch vergessen. Kurz bevor
die Party-Gäste kamen, drehte er das Internet lauter, er
wollte einen Sender mit Partymusik finden. Er schaltete sich durch und
wie von Gotteshand gesteuert drang beim Zappen eine vielsagende
News-Kurzmeldung wie ein Feuerwerk in seine Ohren : „DFB droht
Kickers Emden mit Zwangsabstieg“. Er wurde
bleich, sein Herz begann zu rasen, seine Hand ballte sich zur Faust
– da war sie wieder, diese Ohnmacht, dieses Gefühl
des hilflos ausgesetzt seins – ´Wieso verdammt noch
mal habt ihr überhaupt die Lizenz für Emden
erteilt?´, schrie sein Inneres. Aber es schimmerte auch ein
bisschen Hoffnung durch. Der FCM-Fan vernahm nämlich die
Sätze vom DFB-Sicherheitsexperten Gerhard
Kißlinger:„Bis Ende März, von mir aus auch
Anfang April, muss die neue Funktionstribüne
stehen“. Nur, sein norddeutscher Kumpel hatte noch immer
keinen Baukran geschweige denn Schraubenzieher in Emden gemeldet. Er
fragte sich: ´Es ist also die Auflage nicht erfüllt,
die unbedingt wichtige Bedingung für die laufende Lizenz? Das
bedeutet, dass Emden die Lizenz entzogen werden muss. Der Club als
damals unmittelbar Geschädigter, muss doch dann...?´
Der FCM-Fan öffnete eine Flasche Sekt. Der
FCM-Fan spitzte in den folgenden Monaten seine Internet-Ohren wie ein
Luchs auf der Lauer für ein Kaninchen. Der Januar war
bitterkalt. Es kamen die kalten Monate Februar und März. Sein
Kumpel ging regelmäßig am Embdena- ...Und
war dermaßen erschüttert. Es kam wie er gehofft
hatte, aber ohne Happy End für seinen
Club. Vom Lizenzbetrug für Emden im Jahr 2008 profitierte
nämlich Wacker Burghausen im Jahr 2009. Der FCM-Fan schluckte,
flüssige Spucke drang in seinen Mund. Er rang nach Atem -
frische Luft würde gut tun. Er wollte das Internet abschalten,
doch er hatte es laut gedreht. Unbarmherzig tönte es nach: “Der DFB würde sicher
keinen Verein zu seiner höchsten Spielklasse zulassen, der
erhebliche Probleme hat, die Kriterien zu erfüllen",
erklärte Sandrock." Sein Unterleib explodierte, sein Mageninhalt suchte sich brennend und mit säuerlichem Geschmack den Weg durch die Speiseröhre. Der FCM-Fan sprang wie von einer Feder losgelassen vom Sofa auf, er sprintete durch die Wohnung, er riss die Tür zum Klo auf, hing seinen Kopf über das Becken – er musste Kotzen. |
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